Die Rolle der Frau in der Gesellschaft vor dem Hintergrund meines Glaubens

Vor kurzem bin ich gefragt worden, ob ich zwei Fragen zu der Rolle der Frau in der Gesellschaft aus biblischer Sicht beantworten könnte. Ja, das konnte ich mir vorstellen. Bestimmt nicht, weil ich so eine tolle theologische Ausbildung und begründete Meinung habe oder meine, alles zu wissen. Ganz im Gegenteil. Das ganze ist Stückwerk und sehr soziologisch geprägt (mein Studium lässt grüßen). Und eine biblische Sicht umfassend darzustellen würde ich spätestens seit „A year of biblical womenhood“ nicht mehr für mich beanspruchen. Aber es gab mir die Gelegenheit, ein paar Gedanken, die mich schon eine Weile bewegen, festzuhalten. Den Begriff „herrschen“ benutze ich v.a. weil er in der Bibel an der entscheidenden Stelle steht. Er bedeutet für mich das gleiche wie dienen oder Verantwortung übernehmen. Hier nun die erste Frage und Antwort.

Wie siehst du die Rolle der Frau in der Gesellschaft vor dem Hintergrund deines Glaubens?

Zunächst: Auch wenn ich Soziologie studiert habe – Ich bin immer noch der Ãœberzeugung, dass Männer und Frauen in vielen Dingen unterschiedlich sind (das fängt schon bei der Biologie und den so wichtigen Hormonen an). Das bedeutet aber v.a., dass wir die gegenseitige Ergänzung brauchen, damit unsere Stärken zum tragen kommen und die Schwächen ausgeglichen werden können. Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass Gott sowohl Mann als auch Frau im 1. Mose 1,27+28 dazu berufen hat, zu herrschen. Dieser Auftrag gilt für beide Geschlechter für alle Lebensbereiche der Gesellschaft. Herrschen bedeutet, Verantwortung zu übernehmen für die Welt in der wir leben und das beste für unsere Gesellschaft zu suchen. Dort, wo dieses gemeinsame Herrschen gelingt, wird ein besonderer Segen liegen. Der Grund dafür ist, dass Mann und Frau nur gemeinsam das Ebenbild Gottes darstellen und in seinem Sinne Herrschaft ausüben können. Durch den Sündenfall kam es zu einer Trennung der Herrschafts- (oder Verantwortungs-) bereiche von Mann und Frau, die wir noch heute in unserer Gesellschaft erleben. Es gibt Bereiche, in denen Männer die Herrschaft haben und solche, in denen Frauen das Zepter nicht aus der Hand geben. Aber durch den Tod und die Auferstehung Jesu (der durch sein Sterben am Kreuz am besten gezeigt hat, was er unter herrschen und Verantwortung übernehmen versteht – nämlich völlige Hingabe und Aufopferung für uns) sind wir nicht mehr gezwungen, in getrennten Bereichen unzulänglich herumzufuhrwerken. Vielmehr können wir lernen, gemeinsam in unserer Unterschiedlichkeit als Mann und Frau Verantwortung für unsere Gesellschaft zu übernehmen und sie positiv zu verändern.

Das getrennte Herrschen von Mann und Frau in der Vergangenheit lässt sich für unsere Gesellschaft (Deutschland) zumindest für die letzten hundert Jahre grob zusammengefasst  so darstellen:  Die Frauen haben für Familie und Haushalt, sowie viele Ehrenämter Verantwortung übernommen; ev. kann man hier noch die Bereiche Bildung und Pflege/Gesundheit anführen, wobei Frauen auch hier klassischerweise nicht an den Entscheiderpositionen gesessen haben. Die Männer haben alle anderen Gesellschaftsbereiche gestaltet (Politik, Wirtschaft, Kirche). Das führte dazu, dass die getrennten Verantwortungsbereiche nicht gut miteinander harmonierten, weil die geschaffenen Strukturen nicht gemeinsam entwickelt wurden. Sie beruhten auf einem Mangelzustand der getrennten Verantwortung. Eine verantwortungsvolle Position z.B. in der Wirtschaft ließ sich kaum mit einem intakten Familienleben vereinbaren und andersherum. Das führte z.B. zu wenigen Frauen in der Wirtschaft und dadurch zu einer zu starken Wettbewerbsorientierung in diesem Bereich. Außerdem gab es viel zu viele männliche Führungskräfte, die kaum an der Erziehung ihrer Kinder beteiligt waren. Beide Beispiele stehen für getrenntes Herrschen und hierin lagen viele Probleme unserer Gesellschaft begründet.

Durch verschiedene gesellschaftliche Entwicklungen (Bildungsexpansion, Feminismus, demographischer Wandel) ist viel Bewegung in die alten Strukturen gekommen. Gleichzeitig wissen wir bisher sehr wenig darüber, wie gemeinsames herrschen  in den unterschiedlichen Bereichen aussehen kann. Ich bin der Überzeugung, dass Gott uns im Moment neue Ideen und Strukturen zeigen möchte, damit wir als Gesellschaft an dieser Stelle vollständiger, gesünder werden.

Ein Schlüssel um dem eigentlichen Auftrag des gemeinsamen Dienens als Gesamtgesellschaft mehr zu entsprechen sehe ich darin, sich als Mann und Frau gegenseitig  zu ermutigen, an ungewohnten Stellen Verantwortung zu übernehmen. Das können und sollten nicht nur Ehepaare miteinander tun. Ich als Frau kann andere Männer ermutigen, ihre Rolle als Väter, Erzieher oder Hausmänner aktiv und selbstbewusst zu übernehmen und zu gestalten. Gleichzeitig freue ich mich über jeden Mann, der mich ermutigt, meine Fähigkeiten und Begabungen auch außerhalb der Familie und gegen eventuelle Wiederstände einzubringen.

Um das ganze noch ein bißchen zugespitzter zu formulieren: Ich kann auch den Auftrag Gottes, zu herrschen, verfehlen, indem ich nicht bereit bin, meinen Herrschaftsbereich „mit dem anderen Geschlecht“ zu teilen, bzw. in anderen ungewohnten Bereichen mitzuregieren. Indem ich als Mann automatisch meiner Frau die Hauptlast der Erziehung der Kinder überlasse oder als Frau nicht bereit bin, in der Wirtschaft oder Politik Verantwortung mitzuübernehmen und Strukturen zu verändern.

Zusammengefasst sehe ich also die Rolle der Frau in der Gesellschaft nicht in einer anderen Aufgabenbeschreibung als die der Männer. Vielmehr geht es um die Bereitschaft, meine weiblichen Stärken einzubringen und gemeinsam mit den Männern Verantwortung zu übernehmen.

Mir ist sehr bewusst, dass ich hier eine sehr weite, eben soziologische Perspektive einnehme. Was das ganze für die einzelne Frau oder den einzelnen Mann zu bedeuten hat, kann und will ich nicht festlegen. Keinem von uns steht ein Urteil darüber zu, inwiefern einzelne Personen dem Auftrag des gemeinsamen Dienens entsprechen oder auch nicht. Und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es Phasen gibt, in denen gemeinsames Herrschen v.a. im beten und mitdenken, nicht aber in aktiver Verantwortungsübernahme besteht. Ich denke, es kommt v.a. auf die innere Bereitschaft, das Spühren einer Berufung für bestimmt Bereiche und generell die Frage an, welchen Auftrag Gott zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben für mich hat.

Um das ganze abzurunden, hier noch drei Literaturhinweise, die mich zu dieser Perspektive mitinspiriert haben (in Gänze habe ich sie bisher noch nicht woanders gefunden).

  • Schon vor mehreren Jahren hat mich Höhler in Ihrem Buch Wölfin unter Wölfen mit ihrer Analyse der Unterschiede zwischen Männern und Frauen fasziniert. Ihre Darstellung der faszinierenden Ergänzung der Schwächen des einen Geschlechts durch die Stärken des anderen Geschlechts haben den starken Wunsch in mir ausgelöst, mehr mit Männern zusammenzuarbeiten. Seitdem genieße ich es bewusst, wenn ich das Vorrecht habe, in gemischten Teams zu arbeiten.
  • Ein Gefühl für unterschiedliche Phasen des Lebens alleine schon durch den sich ändernden Hormoncocktail in unserem Körper hat mir Louann Brizendine mit Ihrem Buch „Das weibliche Gehirn“ vermittelt. Schon wegen dieser wunderbaren Botenstoffe muss gemeinsames Dienen nicht in jeder Phase gleich aussehen.
  • Rob Bell gehört sicherlich zu den Menschen, die mein Bild und Denken von Gott in den letzten Jahren am meisten geprägt haben. Sein letztes Buch „What we talk about when we talk about God“ und hier v.a. das Kapitel „ahead“ faszinieren mich sehr. Eine Zusammenfassung zu seiner natürlich in christlichen Kreisen sehr umstrittenen Person und eine relativ ausführliche Diskussion zu seinem letzten Buch gab es vergangenen Sonntag bei Oprahs Super Soul Sunday.

Auch wenn es eine gewisse Zeit gedauert hat: Inzwischen bin ich ein echter Fan von respektvollen Diskussionen zu heißen Themen im Internet geworden. Ich freue mich also über Eure Gedanken und Meinungen zu dem Thema.

 

 

 

 

 

2 Thoughts on “Die Rolle der Frau in der Gesellschaft vor dem Hintergrund meines Glaubens

  1. Was ist der Nachteil von Wettbewerbsorientierung und gibt es Belege dafür, dass dieser bei mehr Frauen in Führungspositionen nicht so stark zum tragen kommt?

  2. Debbie on 21. November 2013 at 15:56 said:

    Die Wettbewerbsorientierung ist kein Nachteil für Unternehmen, sondern notwendig. Allerdings muss diese Orientierung durch andere (soziale Verantwortung für Mitarbeiter, Stabilität in der Unternehmensentwicklung, etc.) ausgeglichen werden, damit sie sich nicht zum Nachteil entwickelt.
    Ich vermute, dass manche Studien belegen, dass Frauen in Führungspositionen sowohl die gleichen „Orientierungen“ einnehmen wie Männer, andere werden das genaue Gegenteil zeigen (wie eigentlich immer bei solchen Themen). Spannend ist für mich dann die Frage, ob nur Frauen mit den typisch männlichen Orientierungen (vorausgesetzt es gibt diese und da bin ich tatsächlich drüber gespalten)in die Führungspositionen kommen und sich deshalb viele Frauen verweigern, solche Positionen anzustreben, weil ihre Perspektive nicht gefragt ist.

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