Vor gut sechs Wochen hatte ich die große Ehre, Dich zur Welt bringen zu dürfen. Dieses Erlebnis war beeindruckend und verwirrend und wunderschön und ja, es hat auch mächtig weh getan, aber hinterher war ich einfach nur stolz (und bin es immer noch). Jetzt bin ich also tatsächlich Mama einer kleinen Tochter und gebe zu: Mich beschäftigt das sehr! Ganz anders als bei Deinem Bruder. Da bin ich einfach nur Mama. Bei Dir mache ich mir viel mehr Gedanken, weil ich weiß: ich bin Dein erstes Vorbild. Bei mir siehst Du das erste Mal, was es heißt, Frau, Ehefrau, Freundin und Mutter zu sein. Ich wünsche mir so sehr ein gutes Beispiel zu sein, bin aber selbst noch auf der Suche nach den Dingen, die ich Dir mitgeben will. Immer wieder lese ich, dass wir Frauen „mixed messages“ erhalten, also Erwartungen an uns unklar und widersprüchlich sind. Ich hoffe, mir gelingt es, Dir ein „eindeutiges“ Vorbild zu sein und Dir gleichzeitig den größtmöglichen Freiraum zur Entwicklung zu lassen.
Mir sind z.B. diese Dinge gerade wichtig:
NICHT: „Du kannst alles erreichen!“ SONDERN: „Komm, wir entdecken Deine Begabungen und überlegen gemeinsam, wie und wo Du sie einsetzen möchtest.“
NICHT: „Aussehen ist das Wichtigste!“ SONDERN: „Mit einem gepflegten Äußeren kannst Du Respekt Dir selbst und anderen gegenüber ausdrücken!“
Ich kann nur hoffen, dass Du am Ende sagen wirst, dass mir die Nachrichtenübermittlung gelungen ist.
Aber weißt Du was? Es gibt neben diesen herausfordernden Gedanken auch zahlreiche Dinge, auf die ich mich jetzt schon einfach nur freue:
- Haare flechten und Nägel lackieren
- schöne Kleider und Röcke und Haarspangen aussuchen
- Dir scrappen und stricken beibringen
- zusammen Schnulzfilme schauen
- Dein Zimmer gemeinsam einrichten
- mich über Deine Klamotten mit 13 Jahren aufregen
- gemeinsame Abenteuer erleben und sportliche Herausforderungen meistern (auf meiner Wunschliste steht noch eine Alpenüberquerung. Was denkst Du: Sollen wir das gemeinsam angehen, wenn Du 15 bist?)
- Zu Deinem 20. Geburtstag würde mir auch ein Wellnesswochenende gefallen.
- Zusammen mit den Männern die höchsten Felsen beklettern.
- miterleben, wie Du Freundschaften schließt.
- …
Sofina, ich bin so gespannt auf Dich und Deine Entwicklung! Und im Moment? Freue ich mich an Deiner guten Laune und dem vielen lächeln! Du bist ein großes Geschenk für mich!
Liebe Debbie,
erst einmal gratuliere ich euch ganz herzlich zur Geburt eurer Tochter! Ein gesundes Kind ist ein Geschenk, für das man wirklich nicht dankbar genug sein kann.
Was ich nicht ganz verstehe: Warum machst du so ein Aufhebens darum, dass du eine Frau und Sofina ein Mädchen ist? Für deinen Sohn bist du doch auch Vorbild. Er hat an deinem Beispiel auch das erste Mal gesehen, was es heißt, Frau, Ehefrau, Freundin und Mutter zu sein. Und das wird mit darüber entscheiden, was er später für ein Mann, Partner, Freund und vielleicht Ehemann und Vater sein wird. Ich finde das genauso wichtig wie bei deiner Tochter. Egal, welches Geschlecht ein Kind hat, die ersten Vorbilder für Geschlechterrollen sind immer BEIDE Eltern. Und Gleichberechtigung setzt auch emanzipierte Männer voraus, die von ihrer Mutter gelernt haben, was Gleichberechtigung heißt.
Über das „Du kannst alles schaffen!“ würde ich nochmal nachdenken – grade weil Sofina ein Mädchen ist. Viel zu viele Mädchen und Frauen trauen sich selbst nicht genug zu, schätzen ihre Fähigkeiten und Talente geringer ein als sie sind, und fordern nicht genug ein, dass ihre Leistungen anerkannt werden. Nicht umsonst verdienen Frauen ein Drittel weniger als Männer. Und nicht umsonst sind so wenig Frauen in Führungspositionen. Weil Frauen oft eben nicht daran glauben und sich nicht zutrauen, dass sie alles schaffen können. Hätte ich eine Tochter, würde ich ihr deshalb vermitteln wollen, dass sie alles schaffen kann und sich ruhig viel zutrauen darf – aber dass ich immer da sein werde, wenn dabei dann doch mal was schief geht.
Alles Gute und weiterhin viel Freunde an euren Kindern!
Hallo Melanie! Vielen Dank für Deine Glückwünsche und Dein Nachfragen!
Warum ich mir bei meiner Tochter soviel mehr Gedanken mache als bei meinem Sohn wenn es um die Vorbildfrage geht? Das weiß ich ehrlich gesagt auch nicht genau. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich die letzten Jahre im Studium und Privaten sehr viel mit der Rolle von Frauen in unserer Gesellschaft auseinander gesetzt habe. Dabei beobachte ich,dass es an den entscheidenden Positionen in der Öffentlichkeit viel zu oft an Frauen (und Müttern) mangelt und im Privaten engagierten Väter fehlen, die viel Zeit mit ihren Kindern verbringen können, weil sie Geld für die Familie verdienen. Ich selbst bin immer auf der Suche nach Frauen, die in der Balance von beiden Bereichen mir ein Vorbild sein können und finde viel zu wenige. Ich denke, das ist der Hauptgrund für mein intensives Auseinandersetzen und Hinterfragen meiner eigenen Vorbildfunktion.
Zu Deiner zweiten Frage: Die Aussage „Du kannst alles schaffen“ ist lobenswert und ich bin immer dafür, Kinder und Jugendlich anzufeuern und zu ermutigen. Gleichzeitig glaube ich aber, dass es wenig hilft, wenn ich meinen Kindern nur diesen Satz mitgebe und sie dann alleine lasse. Eine der größten Herausforderungen im Erwachsenwerden und -sein ist doch, aus den heute zahllosen Möglichkeiten die für mich passende zu finden. Ein wichtiges Ziel für mich ist es deshalb, meinen Kindern ein gutes Gefühl für sich selbst mitzugeben: „Das sind meine Fähigkeiten; hier kann ich noch an mir arbeiten; diese Stärken kann ich einbringen.“ Dann haben sie hoffentlich eine gute Grundlage, um eine solide Entscheidung für die eine oder andere Richtung zu treffen.
Liebe Grüße!
Herzlichen Glückwunsch zur süßen Tochter!
Ich habe im Juli eine Tochter bekommen und mache mir ganz ähnliche Gedanken. Natürlich denke ich auch, dass beide Eltern Vorbilder für beide Geschlechter sind und sein müssen, aber mit typischen „Frauenfragen“ werden sich die Mädchen nun mal eher an uns wenden.
Neulich habe ich den Spruch gelesen: „Man kann seine Kinder nicht erziehen, sie machen einem sowieso alles nach.“ Da ist was Wahres dran, hier müssen wir auch leben, was wir sagen.
@Corrie: Meine Mama hat immer einen ganz ähnlichen Spruch gebracht: Kinder kommen selten nach anderen Leuten… Deshalb frage ich mich: wo würde ich mich freuen, wenn meine Tochter nach mir kommt und bei welchen Dingen wäre es mir eher unangenehm. Von beidem gibt es zahlreiche Sachen und entsprechend genug Grund zur Freude, aber auch die Möglichkeit zu entscheiden, Dinge (wieder) anzugehen und Schritt für Schritt zu verändern…
@Debbie: Ich glaube, ich habe mich nicht präzise genug ausgedrückt. 😉 Natürlich habe ich nicht gemeint, dass man seinen Kindern nur die abstrakte Aussage „Du kannst alles schaffen“ mitgeben und sie mit dem Rest allein lassen soll. Das greift viel zu kurz und sollte nicht im „luftleeren Raum“ stehen, da hast du vollkommen recht. Dazu gehört für mich natürlich noch mehr.
Zum einen – natürlich – das gemeinsame Entdecken, Ausprobieren und Fördern von Begabungen und Talenten. Dass man Kinder immer (wieder) in dem bestärkt, was sie gut können, genauso wie sie aber auch in den Bereichen zu fördern, in denen sie (noch) Schwächen haben.
Was ich daneben aber auch wichtig finde: Kindern dabei zu helfen herauszufinden, was sie wollen und was nicht. Das fängt für mich z.B. damit an, dass man schon kleine Kinder im Rahmen ihrer Fähigkeiten viel selbst machen und entscheiden lässt – dass man ihnen etwas zutraut. Und es geht letztendlich bis hin zu der Frage „Wo will ich im Leben eigentlich hin?“
Und weiter: Wenn man sich ein Ziel gesetzt hat, durchhalten und nicht aufgeben, auch wenn es manchmal schwierig und anstrengend ist, und auch wenn man zwischendurch vielleicht die Lust verliert. Über Erfolge sollte man sich gemeinsam freuen, das Kind muss aber auch wissen, dass Dinge ruhig mal schief gehen dürfen, weil Fehler und Schwächen zum Menschsein natürlich genauso dazugehören wie Können und Stärken. Es sollte wissen, dass die Eltern es dann auffangen, und dass Leistung niemals die Voraussetzung für elterliche Liebe sein wird.
Das alles sind aus meiner Sicht Voraussetzungen dafür, dass man einem Kind sagen kann: „Du kannst alles schaffen.“ Wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, macht auch der Satz für mich keinen Sinn.
@Corrie: Das mit den „Frauenfragen“ ist sicherlich richtig. Wahrscheinlich ist das eine Persönlichkeitsfrage. Ich glaube, wenn es für mich persönlich hinsichtlich der Vermittlung von Rollenvorbildern überhaupt einen Unterschied machen würde, ob Junge oder Mädchen, dann würde ich mir eher Gedanken machen, wie ich meinen Sohn vermitteln kann, was Emanzipation ist. Das mag aber daran liegen, dass bei meiner Mutter immer Familie, Beruf und noch einiges andere super parallel liefen und ich nie das Gefühl hatte, dass meine Geschwister und ich irgendwie zu kurz kommen. Und weil meine Mutter darin natürlich mein Vorbild ist, habe ich einfach das Vertrauen, dass das bei mir auch schon alles gut gehen wird. (Die Vermittlung des „Du-kannst-alles-schaffen“-Gefühl spielte in unserer Familie schon immer eine sehr große Rolle. 😉