Die Narbe spricht
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Vor rein paar Tagen war es wieder einmal soweit: ich stand in einem Raum mit einem weißen Bett, Beatmungsgerät, einem Monitor und einer großen Tafel an der Wand – ein Raum in einer Notaufnahmen, wie sie mir inzwischen seltsam bekannt sind.
Zum Glück war das Bett leer und es war purer Zufall, dass wir dort waren. Tatsächlich mussten wir dort nur paar Minuten warten, bis die Ärztin kam. Meine Kinder hatten verschiedene medizinische Themen, die abgeklärt oder behandelt werden mussten. Wir waren drei Stunden im Ärztezentrum, aber es war alles ausgesprochen harmlos. In den Wartezeiten zwischendrin habe ich mit den Kids lustige Puppen- und Suchspiele gemacht.
Leider gab es in den letzten Jahren mehrere Situationen, in denen ich mit meinen Lieben in genau solch einem Raum stand und die Umstände sehr anders waren. Es gab unter anderem epileptische Anfälle, heftige Platzwunden, die ohne Betäubung genäht werden mussten, eine allergische Reaktion auf ein Antibiotikum, bei der 95% der Haut reagierte und es schon zum Kratzen im Hals kam, ein Multiorganversagen. Fast alles ist am Ende sehr gut ausgegangen. Allerdings haben diese traumatischen Erlebnisse natürlich trotzdem ihre Spuren in mir hinterlassen. Die ohnmächtige Angst saß tief und die Sorge, dass jederzeit wieder etwas passieren könnte, hat mich eine Zeitlang intensiv begleitet und sich wie ein Schatten über mich gelegt. Inzwischen weiß ich, dass solche Dinge bearbeitet werden können und habe mir danach jeweils passende Hilfe gesucht. Wie schön, dass es professionelle Unterstützung gibt!
Das wirklich gut organisierte Notfallsystem in Deutschland hat wesentlich zu meiner seelischen Entspannung beigetragen: Sie hatten bewiesen, dass, sollte es drauf ankommen, sie tatsächlich sehr schnell vor Ort sind und wissen, was zu tun ist. Es gibt ÄrztInnen, Pfleger und Schwestern, die sich kümmern, es gibt eine Notfallnummer, die man anrufen kann, es gibt Krankenwagen, die einen transportieren, es gibt Martinshorn, Verkehrsregeln und sich an Regeln haltende Verkehrsteilnehmer, die dafür sorgen, dass man schnell im Krankenhaus ankommt.
Dieses Gefühl hat sich mit dem Umzug nach China geändert, weil es ein solches System hier schlicht nicht gibt. Wir haben in den fünf Monaten, die wir hier leben, vielleicht zweimal Martinshorn gehört und die Geschichten von Krankenwagen, die einfach nicht durchkommen, weil keiner zur Seite fährt, gehören zum alltäglichen Smalltalk zwischen Expats. Abgesehen davon sind diese Krankenwagen sehr… sagen wir einmal… schlicht ausgestattet. Das Einzige, was Du tun kannst, wenn es zum Notfall kommt: Dich selbst ins Krankenhaus begeben und hoffen, dass Du dort zügig ankommst. Optimal wäre natürlich ein internationals Krankenhaus, weil man sich dann auch verständigen kann.
Das hat natürlich Auswirkungen auf mich gehabt. Gerade am Anfang hat mir der Umstand, kein funktionierendes Notfallsystem im Rücken zu haben, sehr zu schaffen gemacht.
Inzwischen bin ich mir selbst in den Situationen wohl bekannt: Irgendein Umstand, eine Bemerkung, ein Unwohlsein der Kinder löst die Angst aus. Und dann ist sie einfach da.
Ein drückendes Gefühl auf der Brust, der Atem beschleunigt sich, die Schultern ziehen sich hoch. Die Angst ist wie eine alte Narbe am Körper. Sie ist manchmal spürbar und erzählt eine Geschichte über mein Leben und bisher gemachte Erfahrungen. Und manche Umstände zerren heftig an ihr, manchmal blutet es nochmal. Sie sagt: „Das ist unsicher hier! Du lebst gefährlich! Jederzeit könnte etwas passieren.“ Und was besonders wichtig ist: Die Angst lügt nicht. Sie zeigt zumindest bei mir sehr eindrücklich auf potentielle Gefahren, die tatsächlich schon so passiert sind und erinnert mich an erlebte Traumata.
Zum Glück habe ich inzwischen ein bisschen Erfahrung, was ich tun kann.
Am wichtigsten für mich ist zu Benennen, was es ist: “Da kommt gerade Angst hoch.” “Ich fühle mich gerade angreifbar und verletzlich.” Oder was auch immer in der Situation richtig ist.
Atmen hilft wie bei jeder anderen Situation auch in dieser. Wehenatmen. Langsam und bewusst und in den Bauch. Sanftes Klopfen auf das Brustbein. Und mir bewusst machen: Ja, da ist gerade Angst. Aber wie alle anderen Emotionen wird auch sie wieder gehen.
Diese intensiven Situationen sind zum Glück inzwischen recht selten geworden, wahrscheinlich weil man sich auch an diese Unsicherheit gewöhnen kann.
Mir hilft es aber auch, mir den anderen möglichen Weg klar zu machen: Wenn ich die Angst nicht haben wollte, hätte ich in Deutschland in unserem halbwegs sicheren Nest bleiben müssen. Dann wäre zumindest ein vernünftiges Notfallsystem vorhanden gewesen. Aber dann könnte ich viel weniger reisen, viel weniger meinen Horizont erweitern, viel weniger meine Kinder zu weltoffnen, selbstbewussten Menschen erziehen, weil sich meine Angst höchst wahrscheinlich auf sie übertragen hätte. Außerdem sind die ganzen erlebten Notfälle genau in diesem vermeintlich so sicheren Land passiert…
Vielleicht wird irgendwann ein befürchteter Unfall kommen und ich werde bereuen, dass ich nicht die vermeintliche Sicherheit gewählt habe. Das ist eine realistische Möglichkeit. Aber ich hoffe einfach sehr, dass es so nicht kommen wird. Dass wir uns gut genug auskennen, dass das Netzwerk von Freunden greift und die Straßen frei sind und ein Krankenhaus in der Nähe. Wenn ich in Kürze einen Führerschein habe, wird das auch gut tun, weil ich im Notfall nicht noch auf ein Didi warten muss.
Bis dahin darf die Angst sich immer mal wieder zeigen. Sie kann mich auf neue Ideen bringen, was ich vielleicht noch tun kann, um vorbereitet zu sein. Wir konnten unseren geplanten Erste Hilfe Kurs in Deutschland nicht machen, vielleicht kann ich den nochmal nachholen. Wie bei Narben darf die Angst an erlebte Geschichten erinnern und die Heilung über das damals erlebte darf weitergehen. Stück fur Stück, wie so etwas eben funktioniert.
Aber sie darf nicht meinen Radius und meinen Horizont bestimmen. Das steht ihr nicht zu. Das werde ich nicht zulassen. Ich habe Unbekanntes, Abenteuer, Herausforderung, Verletzlichkeit gewählt. Damit wird sie zurecht kommen müssen.
The scar is speaking
Just a few days ago I was standing again in a room with a white bed, a respirator, a monitor and a large blackboard on the wall – a room in an emergency room, as I know it strangely now.
Fortunately the bed was empty and it was pure coincidence that we were there. In fact, we only had to wait there for a few minutes until the doctor came. My children had various medical issues that had to be clarified or treated. We spent three hours at the medical centre, but it was all very harmless. In the meantime I played funny puppet and search games with the kids.
Unfortunately there have been several situations in the last few years in which I stood with my loved ones in exactly such a room and the circumstances were very different. There were epileptic seizures, multiorgan failure, severe lacerations that had to be sutured without anesthesia, an allergic reaction to an antibiotic in which 95% of the skin reacted and the throat was already scratched. Almost everything went very well in the end. But of course these traumatic experiences left their traces in me. The unconscious fear was deep and the worry that something could happen again at any time accompanied me intensively for a while and lay like a shadow over me. In the meantime I know that such things can be worked on and have always looked for suitable help. How nice that there is professional support!
The really well organized emergency system in Germany has contributed significantly to my mental relaxation: They had proved that, should it come down to it, they are actually very quickly on site and know what to do. There are doctors and nurses who take care of you, there is an emergency number that you can call, there are ambulances that transport you, there are Martinshorn, traffic rules and road users who follow the rules and make sure that you get to the hospital quickly.
This feeling has changed with the move to China, because such a system simply does not exist here. In the five months that we have lived here, we have perhaps heard Martinshorn twice and the stories of ambulances that simply cannot get through because no one drives to the side are part of the everyday small talk between expats. Apart from that, these ambulances are very… let’s say… simply equipped. The only thing you can do in case of an emergency is to go to the hospital yourself and hope to get there quickly. Of course, an international hospital would be ideal, because then you can also communicate with each other.
Of course that had an effect on me. Especially at the beginning, the fact that I didn’t have a functioning emergency system in my back caused me a lot of trouble.
In the meantime, I am well acquainted with myself in these situations: Some circumstance, a remark, an uneasiness of the children triggers the fear. And then it’s just there.
A pressing feeling on the chest, the breath accelerates, the shoulders pull up. The fear is like an old scar on the body. It can sometimes be felt and tells a story about my life and my experiences so far. And some circumstances pull at her violently, sometimes it bleeds again. It says: „This is unsafe here! You live dangerously! Something could happen at any time“. And what is especially important: Fear does not lie. At least for me it points out very impressively potential dangers that have actually already happened and reminds me of traumas I have experienced.
Fortunately, I now have a little bit of experience of what I can do.
The most important thing for me is to name what it is: „Fear just comes up.“ „I’m feeling vulnerable right now.“ Or whatever is right in the situation.
Breathing helps as in any other situation. Wave breathing. Slowly and consciously and in the abdomen. Gentle tapping on the Sternum. And make me aware: Yes, there’s fear right now. But like every other emotion it’ll go away.
Fortunately, these intense situations have become quite rare in the meantime, probably because one can get used to this uncertainty.
But it also helps me to make the other possible way clear: If I didn’t want to be afraid, I would have had to stay in our halfway safe nest in Germany. Then at least a reasonable emergency system would have been available. But then I could travel much less, expand my horizon much less, open my children much less to the world, educate self-confident people, because my fear would most probably have transferred to them. Besides, all the emergencies I’ve experienced have happened in this supposedly safe country…
Maybe at some point a feared accident will come and I’m gonna regret not choosing the supposed security I have. That’s a realistic possibility. But I just hope very much that it’s not gonna happen. That we know our way around well enough, that the network and the streets are clear and a hospital is nearby. If I’ll have a driver’s license soon, that’ll do me good, too, because in an emergency I don’t have to wait for a Didi.
Until then the fear may show itself again and again. It can give me new ideas, what else can I possibly do to be prepared. We were not able to complete our planned first aid course in Germany, maybe I can make up for it. As with Scars the fear may remind me of experienced stories and the healing about the the experience of that time may go on. Piece by piece, exactly the way these healings take place.
But it must not determine my radius and my horizon. I’s not entitled to that. I will not allow that. I have chosen the unknown, adventure, challenge, vulnerability. Fear have to cope with that.