The scar is speaking

Die Narbe spricht

for the english version scroll to the bottom

Vor rein paar Tagen war es wieder einmal soweit: ich stand in einem Raum mit einem weißen Bett, Beatmungsgerät, einem Monitor und einer großen Tafel an der Wand – ein Raum in einer Notaufnahmen, wie sie mir inzwischen seltsam bekannt sind.

Zum Glück war das Bett leer und es war purer Zufall, dass wir dort waren. Tatsächlich mussten wir dort nur paar Minuten warten, bis die Ärztin kam. Meine Kinder hatten verschiedene medizinische Themen, die abgeklärt oder behandelt werden mussten. Wir waren drei Stunden im Ärztezentrum, aber es war alles ausgesprochen harmlos. In den Wartezeiten zwischendrin habe ich mit den Kids lustige Puppen- und Suchspiele gemacht.

Leider gab es in den letzten Jahren mehrere Situationen, in denen ich mit meinen Lieben in genau solch einem Raum stand und die Umstände sehr anders waren. Es gab unter anderem epileptische Anfälle, heftige Platzwunden, die ohne Betäubung genäht werden mussten, eine allergische Reaktion auf ein Antibiotikum, bei der 95% der Haut reagierte und es schon zum Kratzen im Hals kam, ein Multiorganversagen. Fast alles ist am Ende sehr gut ausgegangen. Allerdings haben diese traumatischen Erlebnisse natürlich trotzdem ihre Spuren in mir hinterlassen. Die ohnmächtige Angst saß tief und die Sorge, dass jederzeit wieder etwas passieren könnte, hat mich eine Zeitlang intensiv begleitet und sich wie ein Schatten über mich gelegt. Inzwischen weiß ich, dass solche Dinge bearbeitet werden können und habe mir danach jeweils passende Hilfe gesucht. Wie schön, dass es professionelle Unterstützung gibt!

Das wirklich gut organisierte Notfallsystem in Deutschland hat wesentlich zu meiner seelischen Entspannung beigetragen: Sie hatten bewiesen, dass, sollte es drauf ankommen, sie tatsächlich sehr schnell vor Ort sind und wissen, was zu tun ist. Es gibt ÄrztInnen, Pfleger und Schwestern, die sich kümmern, es gibt eine Notfallnummer, die man anrufen kann, es gibt Krankenwagen, die einen transportieren, es gibt Martinshorn, Verkehrsregeln und sich an Regeln haltende Verkehrsteilnehmer, die dafür sorgen, dass man schnell im Krankenhaus ankommt.

Dieses Gefühl hat sich mit dem Umzug nach China geändert, weil es ein solches System hier schlicht nicht gibt. Wir haben in den fünf Monaten, die wir hier leben, vielleicht zweimal Martinshorn gehört und die Geschichten von Krankenwagen, die einfach nicht durchkommen, weil keiner zur Seite fährt, gehören zum alltäglichen Smalltalk zwischen Expats. Abgesehen davon sind diese Krankenwagen sehr… sagen wir einmal… schlicht ausgestattet. Das Einzige, was Du tun kannst, wenn es zum Notfall kommt: Dich selbst ins Krankenhaus begeben und hoffen, dass Du dort zügig ankommst. Optimal wäre natürlich ein internationals Krankenhaus, weil man sich dann auch verständigen kann.

Das hat natürlich Auswirkungen auf mich gehabt. Gerade am Anfang hat mir der Umstand, kein funktionierendes Notfallsystem im Rücken zu haben, sehr zu schaffen gemacht.

Inzwischen bin ich mir selbst in den Situationen wohl bekannt: Irgendein Umstand, eine Bemerkung, ein Unwohlsein der Kinder löst die Angst aus. Und dann ist sie einfach da.

Ein drückendes Gefühl auf der Brust, der Atem beschleunigt sich, die Schultern ziehen sich hoch. Die Angst ist wie eine alte Narbe am Körper. Sie ist manchmal spürbar und erzählt eine Geschichte über mein Leben und bisher gemachte Erfahrungen. Und manche Umstände zerren heftig an ihr, manchmal blutet es nochmal. Sie sagt: „Das ist unsicher hier! Du lebst gefährlich! Jederzeit könnte etwas passieren.“ Und was besonders wichtig ist: Die Angst lügt nicht. Sie zeigt zumindest bei mir sehr eindrücklich auf potentielle Gefahren, die tatsächlich schon so passiert sind und erinnert mich an erlebte Traumata.

Zum Glück habe ich inzwischen ein bisschen Erfahrung, was ich tun kann.

Am wichtigsten für mich ist zu Benennen, was es ist: “Da kommt gerade Angst hoch.” “Ich fühle mich gerade angreifbar und verletzlich.” Oder was auch immer in der Situation richtig ist.

Atmen hilft wie bei jeder anderen Situation auch in dieser. Wehenatmen. Langsam und bewusst und in den Bauch. Sanftes Klopfen auf das Brustbein. Und mir bewusst machen: Ja, da ist gerade Angst. Aber wie alle anderen Emotionen wird auch sie wieder gehen.

Diese intensiven Situationen sind zum Glück inzwischen recht selten geworden, wahrscheinlich weil man sich auch an diese Unsicherheit gewöhnen kann.

Mir hilft es aber auch, mir den anderen möglichen Weg klar zu machen: Wenn ich die Angst nicht haben wollte, hätte ich in Deutschland in unserem halbwegs sicheren Nest bleiben müssen. Dann wäre zumindest ein vernünftiges Notfallsystem vorhanden gewesen. Aber dann könnte ich viel weniger reisen, viel weniger meinen Horizont erweitern, viel weniger meine Kinder zu weltoffnen, selbstbewussten Menschen erziehen, weil sich meine Angst höchst wahrscheinlich auf sie übertragen hätte. Außerdem sind die ganzen erlebten Notfälle genau in diesem vermeintlich so sicheren Land passiert…

Vielleicht wird irgendwann ein befürchteter Unfall kommen und ich werde bereuen, dass ich nicht die vermeintliche Sicherheit gewählt habe. Das ist eine realistische Möglichkeit. Aber ich hoffe einfach sehr, dass es so nicht kommen wird. Dass wir uns gut genug auskennen, dass das Netzwerk von Freunden greift und die Straßen frei sind und ein Krankenhaus in der Nähe. Wenn ich in Kürze einen Führerschein habe, wird das auch gut tun, weil ich im Notfall nicht noch auf ein Didi warten muss.

Bis dahin darf die Angst sich immer mal wieder zeigen. Sie kann mich auf neue Ideen bringen, was ich vielleicht noch tun kann, um vorbereitet zu sein. Wir konnten unseren geplanten Erste Hilfe Kurs in Deutschland nicht machen, vielleicht kann ich den nochmal nachholen. Wie bei Narben darf die Angst an erlebte Geschichten erinnern und die Heilung über das damals erlebte darf weitergehen. Stück fur Stück, wie so etwas eben funktioniert.

Aber sie darf nicht meinen Radius und meinen Horizont bestimmen. Das steht ihr nicht zu. Das werde ich nicht zulassen. Ich habe Unbekanntes, Abenteuer, Herausforderung, Verletzlichkeit gewählt. Damit wird sie zurecht kommen müssen.  

The scar is speaking

Just a few days ago I was standing again in a room with a white bed, a respirator, a monitor and a large blackboard on the wall – a room in an emergency room, as I know it strangely now.

Fortunately the bed was empty and it was pure coincidence that we were there. In fact, we only had to wait there for a few minutes until the doctor came. My children had various medical issues that had to be clarified or treated. We spent three hours at the medical centre, but it was all very harmless. In the meantime I played funny puppet and search games with the kids.

Unfortunately there have been several situations in the last few years in which I stood with my loved ones in exactly such a room and the circumstances were very different. There were epileptic seizures, multiorgan failure, severe lacerations that had to be sutured without anesthesia, an allergic reaction to an antibiotic in which 95% of the skin reacted and the throat was already scratched. Almost everything went very well in the end. But of course these traumatic experiences left their traces in me. The unconscious fear was deep and the worry that something could happen again at any time accompanied me intensively for a while and lay like a shadow over me. In the meantime I know that such things can be worked on and have always looked for suitable help. How nice that there is professional support!

The really well organized emergency system in Germany has contributed significantly to my mental relaxation: They had proved that, should it come down to it, they are actually very quickly on site and know what to do. There are doctors and nurses who take care of you, there is an emergency number that you can call, there are ambulances that transport you, there are Martinshorn, traffic rules and road users who follow the rules and make sure that you get to the hospital quickly.

This feeling has changed with the move to China, because such a system simply does not exist here. In the five months that we have lived here, we have perhaps heard Martinshorn twice and the stories of ambulances that simply cannot get through because no one drives to the side are part of the everyday small talk between expats. Apart from that, these ambulances are very… let’s say… simply equipped. The only thing you can do in case of an emergency is to go to the hospital yourself and hope to get there quickly. Of course, an international hospital would be ideal, because then you can also communicate with each other.

Of course that had an effect on me. Especially at the beginning, the fact that I didn’t have a functioning emergency system in my back caused me a lot of trouble.

In the meantime, I am well acquainted with myself in these situations: Some circumstance, a remark, an uneasiness of the children triggers the fear. And then it’s just there.

A pressing feeling on the chest, the breath accelerates, the shoulders pull up. The fear is like an old scar on the body. It can sometimes be felt and tells a story about my life and my experiences so far. And some circumstances pull at her violently, sometimes it bleeds again. It says: „This is unsafe here! You live dangerously! Something could happen at any time“. And what is especially important: Fear does not lie. At least for me it points out very impressively potential dangers that have actually already happened and reminds me of traumas I have experienced.

Fortunately, I now have a little bit of experience of what I can do.
The most important thing for me is to name what it is: „Fear just comes up.“ „I’m feeling vulnerable right now.“ Or whatever is right in the situation.

Breathing helps as in any other situation. Wave breathing. Slowly and consciously and in the abdomen. Gentle tapping on the Sternum. And make me aware: Yes, there’s fear right now. But like every other emotion it’ll go away.

Fortunately, these intense situations have become quite rare in the meantime, probably because one can get used to this uncertainty.
But it also helps me to make the other possible way clear: If I didn’t want to be afraid, I would have had to stay in our halfway safe nest in Germany. Then at least a reasonable emergency system would have been available. But then I could travel much less, expand my horizon much less, open my children much less to the world, educate self-confident people, because my fear would most probably have transferred to them. Besides, all the emergencies I’ve experienced have happened in this supposedly safe country…

Maybe at some point a feared accident will come and I’m gonna regret not choosing the supposed security I have. That’s a realistic possibility. But I just hope very much that it’s not gonna happen. That we know our way around well enough, that the network and the streets are clear and a hospital is nearby. If I’ll have a driver’s license soon, that’ll do me good, too, because in an emergency I don’t have to wait for a Didi.

Until then the fear may show itself again and again. It can give me new ideas, what else can I possibly do to be prepared. We were not able to complete our planned first aid course in Germany, maybe I can make up for it. As with Scars the fear may remind me of experienced stories and the healing about the the experience of that time may go on. Piece by piece, exactly the way these healings take place.

But it must not determine my radius and my horizon. I’s not entitled to that. I will not allow that. I have chosen the unknown, adventure, challenge, vulnerability. Fear have to cope with that.

How I start to inform myself

Mein Versuch, mich zu informieren

for the English version scroll to the bottom

Vor ein paar Wochen bin ich in den „friendship supermarket“ im Botschaftsviertel hier in Peking gegangen, in der Hoffnung, dort Pulver für braune Soße und Gemüsebrühe zu finden. Wir hatten von beidem zwar einen kleinen Vorrat Anfang März mitgebracht, lange wird der aber nicht mehr reichen. Der Supermarkt hat ein beachtliches Sortiment an Nudeln, Schokoladen und anderen Soßen und eine noch viel beeindruckendere Auswahl an unterschiedlichsten Alkoholika. Neben den zahlreichen Lebensmitteln führt er auch einige internationale wöchentliche Nachrichtenmagazine, einige deutsche wie „Stern“ und „Spiegel“sind auch dabei.

Da ich hier in Peking sehr viel Zeit mit einem Bildschirm vor den Augen verbringe, dachte ich, es wäre eine gute Idee, mal wieder eine richtige Zeitschrift in den Händen zu halten. Ich entschied mich für „the Economist“, weil auf der Titelseite ein Artikel über StartUps beworben wurde, so dass mein Mann auch etwas zum Schmöckern hätte.

Zu Hause habe ich zunächst das Inhaltsverzeichnis überflogen und die Artikel über China gesucht. Da mich Asien eigentlich nie tiefer interessiert hat, ist mein Wissen zu diesem Teil der Welt noch sehr gering. Ungefähr so, wie ein Grundschüler in den Herbstferien nach der Einschulung lesen kann: Ich erkenne einzelne Buchstaben wieder und versuche, den Rest von einem Wort zu raten.

Ich hatte an diesem Tag Glück, das Inhaltsverzeichnis im Economist versprach mir die folgenden Artikel zu China:

  • Immigrationsreform
  • Ärgerliche Tech Arbeiter
  • Westliche Solidarität mit Chaguan
  • China und die arabische Welt
  • Chinas Propaganda-Strategie auf Facebook

Ich ging direkt zu den Seiten und…. fand sie nicht. Nun, zumindest nicht alle. Bei der Einwanderungsreform geht es darum, es den Einwanderern einfacher zu machen ins Land zu kommen, dieser Artikel war vorhanden. Ebenfalls fand ich den Text über China und die arabische Welt, indem über die hohen Summen berichtet wurde, die China investiert. Der Artikel über die westliche Solidarität mit Chaguas und die Propaganda-Strategie Chinas auf Facebook war jedoch nicht zu finden. Der Text über die wütenden Tech Arbeiter war ebenfalls nicht vorhanden. Dieser hatte mich besonders interessiert, da mein Mann in diesem Bereich arbeitet und wir die Entwicklungen genau verfolgt hatten.

Nach einem kurzen Moment des Wunderns und hin und her Blätterns und nachdem ich noch einmal die Seitenzahlen kontrolliert hatte war klar: Die Seiten mit diesen Artikeln wurden schlicht aus dem Heft gerissen. Die letzten Spuren des herausgerissenen Papiers waren noch mit ganz kleinen Schnipseln zu sehen. Eine sehr saubere Arbeit, beim schnellen Durchblättern fiel es nicht auf.

Mein erster Gedanke war: Andere Kunden hatten die Seiten herausgerissen, weil sie die Themen so sehr interessierten. Allerdings lagen die Zeitschriften direkt neben der Kasse und wie sonst in China auch sind dort im Supermarkt überall Kameras angebracht. Das erschien dann doch eher unwahrscheinlich.

Und dann musste ich erst einmal durchatmen. Da war es wieder. Dieses ganz seltsame, schale Gefühl.

Offensichtlich gibt es Informationen, für die ich einen extra Aufwand betreiben muss, um sie zu bekommen. Hier reicht es noch nicht einmal aus, viel Geld für ein importiertes Nachrichtenmagazin auszugeben.

Auch in Deutschland hatte ich immer Interesse an Nachrichten gehabt, v.a. an politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Trotzdem war die Intensität, mit der ich Nachrichten verfolgte, sehr unterschiedlich.

Während der Hochphase des arabischen Frühlings war ich in der Vorbereitung auf meine Politikabschlussprüfung. Twitter und die Nachrichtenseiten waren kontinuierlich als Tabs geöffnet und ich vergoss ein paar Freudentränen mit den Menschen auf dem Tahrirplatz, als Mubarak endlich zurücktrat.

Zu anderen Phasen überflog ich alle paar Tage die tagesschau-Seite um noch halbwegs im Bilde zu sein. Während der klassischen Stilldemenz war ich froh, wenn ich den aktuellen hessischen Ministerpraesidenten benennen konnte.

Grundsätzlich würde ich sagen: Ich versuche immer, den Überblick über das Wichtigste zu behalten. Wenn ich über die Dinge Bescheid weiß, gibt mir das eine gewisse Sicherheit. Ich bin für den Smalltalk für die Menschen vorbereitet, die sich nur auf dieses Terrain trauen und ich kann mich mit anderen über die CSU aufregen, weil es so ein schönes Gefühl des Ueberlegen seins und der Verbundenheit bietet.

Hier in Peking ist das Gefühl anders. Wissen über Politik und Wirtschaft gibt mir keine Sicherheit. Im Gegenteil: Mit jedem Artikel nimmt zwar zunächst das Wissen zu, ich verstehe langsam besser die Zusammenhänge und wie das System tickt. Gleichzeitig habe ich nach jedem Artikel mehr Fragen, auch weil ich jetzt selbst Betroffene bin. So nimmt zumindest im Moment bei mir die Unsicherheit und manchmal auch ein Gefühl der Bedrohung eher zu.

Und noch etwas Anderes treibt mich an: Der Gedanke, ich muesste in ein paar Jahren oder Jahrzehnten bei den wirklich schwierigen Themen sagen „Ich habe es nicht gewusst“. Das fuehlt sich als Deutsche besonders undenkbar an, ich kann mir das schlicht nicht leisten. Diese Vorstellung finde ich noch schlimmer, als das immer wiederkehrende schale Gefuehl, wenn ich einen aufwuehlenden Artikel gelesen habe und nicht weiss, was ich mit der Information anfangen soll.

Also suche ich nun nach der optimalen Mischung, um mich über die Politik und Geschichte in China nach uns nach zu informieren. Zum ersten Mal in meinem Leben zahle ich für Apps mit Nachrichtenartikeln, im Moment die NewYorkTimes, die Frankfurter Allgemeine, the Economist. Eventuell werde ich noch die Sueddeutsche mit dazu nehmen.

Ich bin auch meine Twitter-Timeline durchgegangen und habe so viele chinesische Korrespondenten, chinesische Zeitungen auf Englisch und Nachrichtenmagazine wie möglich hinzugefügt. In den letzten Wochen kamen wirklich interessante Dinge über diesen Kanal rein, der Aufwand scheint sich gelohnt zu haben.

Gleichzeitig führen mich meine Fragen auch weiter. Eines der ersten Dinge, die mir aufgefallen sind, als ich hier ankam: Mein Bild von China war bisher durch die Nachrichten nur sehr oberflächlich. Da ist dieses unfassbar große Land in der Ferne, dass sich erschreckend schnell entwickelt. Bis vor ein paar Jahren wurden dort Hunde gegessen und alles aus dem Westen nachgebaut, nun werden alle Bürger rund um die Uhr überwacht und sehr viel Geld wird in die Entwicklung von künstlicher Intelligenz gesteckt.

Dann bin ich hier angekommen und habe angefangen zu beobachten: Warum braucht es fünf Männer, um das Wasser im Bad zum Laufen zu bringen? Warum gibt es in Peking sowohl ein Museum für Wassermelonen als auch für tibetische Kultur? Warum spielt der hierarchische Unterschied zwischen einem Portier in viel zu großer Uniform und dem Pizzalieferanten eine so große Rolle? Warum treffen sich ältere Menschen im Park um WALZER zu tanzen? Warum werden im März in Geschäften Weihnachtslieder gespielt und in der Hotellobby regelmäßig die deutsche Nationalhymne?

Diese Fragen führen mich von dem großen, manchmal angsteinflößenden politischen System zu den Menschen. Die chinesische Bevoelkerung  hat innerhalb von wenigen Jahrzehnten unglaubliche Veraenderungen erlebt. Manchmal denke ich, sie alle waren Teil eines unfassbar gigantischen Laborversuchs mit der Frage, wieviel Umwaelzung  innerhalb eines Menschenlebens moeglich ist. Wie der Einzelne so etwas wegstecken kann, wie junge Menschen sich nun ihre Zukunft vorstellen und welche Freiheiten sie haben, ihre eigene Zukunft und die ihres Landes mit zu gestalten, das sind Fragen, die ich spannend finde.

Durch die Sprachbarriere sind direkte Gespraeche im Moment nur in englisch moeglich, das ist jedes Mal frustrierend, wenn man einen kontaktfreudigen Didi-Fahrer hat und man sich einfach nicht unterhalten kann. Also muss ich mich im Moment auf Lesen und Hoerbuecher konzentrieren (und sollte wahrscheinlich mehr Zeit aufs Chinesisch lernen verwenden…).

Weil ich selbst so gerne in Empfehlungen von anderen Bloggern stoebere, hier einige Buecher und Podcasts, die mich weitergebracht haben:

Buecher

Xifan Yang- „Als die Karpfen fliegen lernten. China am Beispiel meiner Familie“ (nur in deutsch): Die in China geborene und im Alter von vier Jahren nach Deutschland gekommene junge Autorin erzählt die Geschichte ihrer Familie in den letzten hundert Jahren vor dem Hintergrund historischer Ereignisse in China. Die unbegreifliche Geschichte Chinas wird so persoenlich und nachvollziehbarer.

Das zweite Buch („Die Einzelkinder – Wovon Chinas neue Generation traeumt“ von Alec Ash) konzentriert sich auf die letzten dreißig Jahre in China. Es beschreibt das Leben von fünf verschiedenen jungen Menschen, die Orte, an denen sie aufgewachsen sind, und die Entwicklungen, die sie seitdem genommen haben.

Das dritte Buch malt das aktuelle China aus der Perspektive eines Couchsurfers, der mehr oder weniger illegal quer durch China reist. Sehr unterhaltsam, sehr pointiert. Stephan Orth: Couchsurfing in China

How I start to inform myself

A few weeks ago I went to the „friendship supermarket“ in the embassy district here in Beijing, hoping to find powder for brown sauce and vegetable broth. We had brought a small supply of both at the beginning of March, but it won’t last long anymore. The supermarket has a considerable assortment of noodles, chocolates and other sauces and an even more impressive selection of different alcoholic beverages. In addition to the numerous groceries, he also carries several international weekly news magazines, some German ones such as „Stern“ and „Spiegel“ are also included.

Since I spend a lot of time here in Beijing with a screen in front of my eyes, I thought it would be a good idea to once again have a real magazine in my hands. I chose „the Economist“ because an article about StartUps was advertised on the front page, so that my husband would have something to browse through as well.

At home I first browsed the table of contents and searched for articles about China. Since Asia has never really interested me more deeply, my knowledge about this part of the world is still very small. About as a primary school pupil can read in the autumn holidays after school enrolment: I recognize single letters and guess the rest of a word.

I was lucky on that day, the table of contents in the Economist promised me the following articles on China:

  • Immigration reform
  • suffering tech workers
  • Western solidarity with Chaguan
  • China and the Arab world
  • Chinas propaganda strategy on Facebook

I went directly to the pages and…. did not find them. Well, at least not all of them. The immigration reform is about making it easier for immigrants to come into the country, this article was there. I also found the text about China and the Arab world by reporting on the large sums China invests. However, the article on Western solidarity with Chaguas and China’s propaganda strategy on Facebook could not be found. The text about the angry tech workers was also missing. I was particularly interested in this because my husband works in this field and we had followed the developments closely.

After a short moment of wondering and leafing back and forth and after I had checked the page numbers again it was clear: The pages with these articles were simply torn from the magazine. The last traces of the torn paper were still visible with very small snippets. A very clean work, while fast scipping through you did not notice.

My first thought was: Other customers had torn out the pages because they were so interested in the topics. However, the magazines were right next to the checkout and, as usual in China, cameras were everywhere in the supermarket. That seemed rather improbable then nevertheless.

And then I had to take a deep breath. There it was again. This very strange, awful feeling.

Obviously there is information for which I have to make an extra effort to get it. Here it’s not even enough to spend a lot of money on an imported news magazine.

In Germany, too, I had always been interested in news, especially political and social developments. Nevertheless, the intensity with which I followed news was very different.

During the peak phase of the Arab Spring, I was in preparation for my final policy exam. Twitter and the news pages were continuously opened as tabs and I shed a few tears of joy with the people on Tahrirplatz when Mubarak finally resigned.

To other phases I flew over the tagesschau page every few days. During the classic nursing dementia I was glad if I could name the current Hessian Prime Minister.

In general I would say: I always try to be halfway in the picture. When I know about things, it gives me a certain security. I am prepared for small talk for the people who only dare on this terrain and I can get upset with others about the CSU because it offers such a nice feeling of superiority and connectedness.

Here in Beijing the feeling is different. Knowledge about politics and economics gives me no security. On the contrary: With every article the knowledge increases, I slowly understand the connections and how the system ticks. At the same time, I have more questions after each article, also because I myself am affected now. So at least for the moment the insecurity and sometimes also a feeling of threat is increasing.

And there’s something else that drives me: The thought of having to say „I didn’t know“ in a few years or decades. That feels particularly unthinkable as a German, I simply can’t afford it. I think this idea is even worse than the recurring feeling when I have read a stirring article and don’t know what I can do against injustice.

So now I am looking for the optimal mix to inform myself about politics and history in China. For the first time in my life I pay for apps with news articles, at the moment the NewYorkTimes, the Frankfurter Allgemeine, the Economist. Maybe I’ll take the Sueddeutsche with me.

I also went through my Twitter timeline and added as many Chinese correspondents, Chinese English newspapers and news magazines as possible. In the last weeks really interesting things came in through this channel, the effort seems to have been worth it.

At the same time my questions lead me on. One of the
first things I noticed when I got here: My picture of China
was so far by the news only very superficially and in the large and
all of them prejudiced. There is this unbelievably large country in the
Distant that develops frighteningly quickly. Until a few years ago
there were eaten dogs and everything from the west was reconstructed, now all of them will be Citizens monitored around the clock and incredible amount of money will be invested in the development
of artificial intelligence.

Then I arrived here and started watching: Why does it take five men to get the water running in the bathroom? Why is there a watermelon museum and a Tibetan culture museum in Beijing? Why does the hierarchical difference between a doorman in much too large a uniform and the pizza supplier play such a big role? Why do older people meet in the park to dance WALZER? Why are Christmas carols played in shops in March and the German national anthem regularly played in the hotel lobby?

These questions lead me from the big, sometimes scary political system to the people. The Chinese population has undergone incredible changes within a few decades. Sometimes I think they were all part of an unbelievably gigantic laboratory experiment with the question of how much change is possible within a human life. How the individual can put something like this away, how young people imagine their future and what freedoms they have to help shape their own future and that of their country, these are questions that I find exciting.

Thanks to the language barrier, direct conversations are currently only possible in English, which is frustrating every time you have a sociable Didi driver and you just can’t talk. So at the moment I have to concentrate on reading and listening (and should probably spend more time learning Chinese…).

Because I myself like to jog around in recommendations from other bloggers, here are some books and podcasts that have taken me further:

Xifan Yang- „Als die Karpfen fliegen lernten“ (only in German): The young author, who was born in China and came to Germany at the age of four, tells the story of her family in the last hundred years against the background of historical events in China. The incomprehensible story of China thus becomes more personal and comprehensible.

The second book („Wish lanterns – Young Lives in New China“ by Alec Ash) focuses on the last thirty years in China. It describes the lives of five different young people, the places where they grew up, and the developments they have undergone since then.

The third book paints current China from the perspective of a couchsurfer who travels more or less illegally across China. Very entertaining, very pointed. Stephan Orth: Couchsurfing in China (Until now only in german, his other books on Iran and Russia are already translated, so there is a chance…)

How did we end up in Beijing?

Deutsch weiter unten…

That’s right – since the beginning of March we are in Beijing as a family. The whole thing took its course sometime last year.

A friend asked my husband if he could recommend him for a position in Beijing with the car manufacturer he worked for. We were sure that my husband wouldn’t get the job because he quit his studies.

Then they were interested. And telephoned again and again. Nothing, nothing at all had made me look longingly into the Asian region so far. Especially not after we had already put New York and San Francisco on the list of potential next places to live in the last few years. USA, Australia, Scandinavia, Canada… I could have imagined many places spontaneously. Asia actually not at all.

But the conversations became more and more concrete and at some point I said to my husband: „I don’t want to go to Beijing.“ He was very understanding in the sense of: „Ok, I see. And we will not go if you are not happy with it. But at least I want to know how far I can get and if they would make me an offer.“ Yes, ok. I realized that.

So the talks went on and then he was supposed to go to Beijing to get to know the place. Before that we started researching and reading blogs and talking to people for the first time. At least we wanted to know what we were saying „no“ to. Basically we noticed then: Ok, you can actually lead a relatively normal life. It also became clear to us that we always wanted to educate our children to be cosmopolitan people who could cope in really unusual circumstances and were not afraid of the „unknown“. We noticed more and more clearly: We would get angry with ourselves for the rest of our lives if we didn’t take the chance and of course we also knew that something like this would probably be offered to us exactly once in our lives.

So in the end we took it. Of course there were a lot of reasons against it: We had only rebuilt the house of the parents-in-law 1.5 years ago, had moved in and had since then the babysitters directly in the house, the little one had started school only six months ago and had just settled in beautifully, I myself had a really suitable job, with which quite many organizational things fit super well, I actually like planning and routines very much and am not really good with change and new environments. And of course: Beijing is really far away – spatially but above all culturally.

Curiosity simply won in the end. How would the children and we get along in a completely new environment? What would we really miss? What could we do without and have not yet dared to implement it? Would we manage to live our very own normality in such a foreign country?

Now we are here. After the termination of my job, the review of our entire household and the reduction to eight large suitcases and a small flight container, after numerous farewells and one or two tears. For a good month we are building now a completely new life, far away from home, surrounded by foreign culture, foreign smells, foreign language, very little known. It is an adventure every day. That’s exactly what we wanted and what we decided for.

Wie sind wir nach Peking gekommen?

Das ist richtig – wir sind seit Anfang Maerz als Familie zu viert in Peking. Seinen Lauf hat das Ganze irgendwann im letzten Jahr genommen.

Ein befreundeter Gruender fragte bei meinem Mann nach, ob er ihn bei dem Autobauer fuer den er arbeitete fuer eine Position in Peking vorschlagen kann. Wir waren uns sicher, dass mein Mann den Job gar nicht bekommen wuerde, weil er das Studium abgebrochen hatte.

Dann waren sie doch interessiert. Und telefonierten wieder und wieder. Nichts, gar nichts hatte mich bisher sehnsuechtig in den asiatischen Raum blicken lassen. Vor allem nicht, nachdem wir auch schon New York und San Francisco in den vergangenen Jahren auf der Liste der potentiellen naechsten Wohnorte stehen hatten. USA, Australien, Skandinavien, Kanada… Vieles Andere haette ich mir spontan vorstellen koennen.

Die Gespraeche wurden allerdings immer konkreter und ich sagte irgendwann zu meinem Mann: „Ich will nicht nach Peking.“ Er war sehr verstaendnisvoll im Sinne von: “Das verstehe ich. Wir gehen nicht, wenn Du nicht willst. Aber ich will zumindest wissen, wie weit ich komme und ob sie mir ein Angebot machen wuerden.” Ja, ok. Das sah ich ein.

Also gingen die Gespraeche weiter und dann sollte er nach Peking zum Kennenlernen vor Ort. Davor haben wir das erste Mal angefangen, zu recherchieren und Blogs zu lesen und mit Menschen zu sprechen. Wir wollten zumindest wissen, wozu wir “nein” sagen.

Im Grunde haben wir dann gemerkt: Ok, man kann dort eigentlich ein relativ normales Leben fuehren. Uns wurde ausserdem klar, dass wir unsere Kinder immer zu weltoffenen Menschen erziehen wollten, die auch in wirklich ungewoehnlichen Umstaenden zurecht kommen und keine Angst vor dem “Unbekannten” haben. Wir merkten immer deutlicher: Wir wuerden uns den Rest unseres Lebens aergern, wenn wir die Chance nicht wahrnehmen und natuerlich wussten wir auch: So etwas wird uns wahrscheinlich genau einmal im Leben angeboten.

Also griffen wir letztlich zu.

Natuerlich gab es jede Menge Gruende, die dagegen sprachen: Wir hatten erst vor 1,5 Jahren das Haus der Schwiegereltern umgebaut, waren eingezogen und hatten seitdem die Babysitter direkt im Haus, die Kleine war erst vor sechs Monaten in die Schule gekommen und hatte sich gerade wunderbar eingelebt, ich selbst hatte einen wirklich tollen Job, bei dem ganz viele organisatorische Dinge gut gepasst haben, ich mag eigentlich Planbarkeit und Routinen und Bekanntes sehr gerne und bin nicht wirklich gut mit Veraenderung und neuen Umfeldern. Und natuerlich: Peking ist wirklich weit weg- raeumlich aber vor allem auch kulturell.

Am Ende hat schlicht die Neugierde gesiegt. Wie wuerden die Kinder und wir selbst in einem komplett neuen Umfeld zurecht kommen? Was wuerde uns tatsaechlich fehlen? Worauf koennten wir gut verzichten und haben uns bisher nur nicht getraut, es umzusetzen? Wuerden wir es schaffen, in einem so fremden Land unsere ganz eigene Normalitaet zu leben?

Nun sind wir da. Nach der Kuendigung meines Jobs, der Durchsicht unseres gesamten Haushalts und der Reduktion auf acht grosse Koffer und einem kleinen Flugcontainer, nach zahlreichen Abschieden und der ein oder anderen Traene. Seit einem guten Monat sind wir dabei, uns ein komplett neues Leben aufzubauen, fern von der Heimat, umgeben von fremder Kultur, fremdend Geruechen, fremder Sprache, sehr wenig Bekanntem. Es ist jeden Tag ein Abenteuer. Also genau das, was wir wollten und wofuer wir uns entschieden haben.